Tag 3 – Von Jetřichovice nach Dolní Chřibská

19,1km +658/-514 Höhenmeter

Ich stehe halb acht auf und verlasse die Pension kurze Zeit später durch die drei verschlossenen Gitter im Treppenhaus der Pension. Den Schlüssel werfe ich, wie tags zuvor mit der Wirtin besprochen, durch das zuvor wieder verschlossene Gitter an der untersten Treppe. Erst dann bemerke ich, dass auch die Haustür verschlossen ist und ich im Hauseingang eingeschlossen bin. Ich erinnere mich jetzt auch, dass die Wirtin gestern noch auf die Haustür gezeigt und einiges auf Tschechisch gesagt hat. Mist, das hatte ich nicht verstanden. Ich stelle den Wanderstock auf maximale Länge und angle mir den Schlüssel durchs Gitter zurück. Die Haustür bleibt dann beim Verlassen des Hauses offen.

Kurz nach 8 stehe ich auf der Straße. Leichter Nieselregen. Da ich kein Frühstück in der Pension hatte gehe ich in den einzigen Laden im Dorf und fühle mich in der Zeit versetzt. „Potraviny“, also Lebensmittel, steht dran. Irgendwie gibt es auch fast alles. Fast. Ein riesiges Regal für Oblaten. Ein winziges Regal Backwaren. Verteilt etwas Obst und Getränke. Hinter dem Tresen mit ein paar wenigen Käsestücken, etwas Wurst und dafür vielen belegten Brötchen stehen zwei gelangweilte junge Verkäuferinnen. Dahinter steht der Schnaps im Regal. Irgendwie sieht es aus, als wäre schon seit Tagen keine Lieferung mehr gekommen.
Ich greife die einzige Packung Eiskaffee aus dem fast leeren Kühlregal. Ich suche verzweifelt nach Müsli-Riegeln. Wenigstens gibt es Schokobananen. Das nicht sehr reichhaltige Frühstück nehme ich regengeschützt in einem kleinen nagelneuen Buswartehäuschen aus Holz ein.

Die richtige Strecke zu finden gestaltet sich irgendwie schwierig. Bisweilen ist detektivisches Gespür nötig. Der Kammweg-Führer beschreibt immer minutiös die Abzweige an Hand von Zäunen, Häusern und Bäumen. Letztlich schaue ich dann immer im Text nach vorne und versuche die nächsten Ziele in der Karte zu finden. Dann überlege ich mir passende Wege dazu, die zur Beschreibung passen könnten. Mühsam und eher Schnitzeljagt als Jakobsweg. Irgendwie vergleiche ich meine Tour gerade mit Hape Kerkelings Jakobsweg. Nur dass der sicher einfach den Muschelzeichen nachlaufen und nicht alle Nase lang die Streckenführung überprüfen musste. Kein Wunder dass ich den Kopf irgendwie nicht frei bekomme.

Ich folge dem Fernwanderweg E3 ein Stück bis zum Grieselův rybník (Grieselteich). Ab dort steige ich, dem Kammwegführer folgend, rechterhand auf. Ich passiere denn Ovčak (Schäferberg, 426m) und entdecke erste Bunker. Hier weis ich noch nicht, dass mir noch unglaublich viele davon begegnen werden und ich nehme mir Zeit für deren Inspektion. Ich passiere Lipnice (Limbach) und folge einem Feldweg in Richtung Südosten. Die folgenden Wege sind schlecht markiert, letztlich komme ich aber doch auf exakt der beschriebenen Strecke auf dem Studenec (Kaltenberg, 737m) an. Teils ist die Strecke völlig zugewachsen, zum Teil führt sie über Geröllhalden (Blockmeere).

Der Regen hielt sich bis jetzt in Grenzen, wird ab hier aber stärker. Oben bin ich zunächst alleine, nach und nach kommen aber eine ganze Anzahl Leute hier an. Der vorhandene Aussichtsturm, der zweithöchste aus Eisen in Böhmen, zieht offenbar trotz des doofen Wetters Leute an. Die Sicht vom Aussichtsturm ist wetterbedingt schlecht. Ein Gipfelbuch ist zwar vorhanden, aber offenbar schon seit längerem vollgeschrieben.

Nach dem Abstieg entscheide ich mich gegen Abstecher zum Zlatý vrch (Goldberg, 657 m) und Stříbrný vrch (Silberberg). Auch den Aufstieg zum Chřibský vrch (Himpelberg, 621m) und den Abstecher zum Felsentheater lasse ich weg. Mir schmerzen die Füße und es regnet recht stark. Die überall verstreuten tschechischen Ohrenbunker (LB 37) nehme ich aber nochmal genauer unter die Lupe. Ich wusste nicht, dass die Tschechen ab 1935 in so großem Umfang Verteidigungsanlagen gegen Deutschland gebaut hatten. Am Straßenpass U Křížového buku (An der Kreuzbuche) finde ich dazu auch recht umfangreich Informationen.
Zwischendurch folgen von Forstfahrzeugen völlig desolat zerfahrene Waldwege. Ich sehe ja ein, dass Bäume geerntet werden müssen. Ich verstehe aber nicht, dass ausgezeichnete Wanderwege so zerstört werden.

Gegen 14:30 erreiche ich schließlich Chřibská (Kreibitz). Ich laufe das erste Mal über eine nasse Pflasterstraße mit Basalt-Pflaster. Sauglatt! Dann kehre nach kurzem Rundgang ins Kavarna u Tadease ein. Kaffee und Kuchen hab ich mir bei dem Wetter verdient.
Jetzt sind es nur noch knapp 2km zur Pension. Der Regen hat nicht nachgelassen. Am Ortsausgang finde ich den Hinweis „Vodapad“ (Wasserfall) und biege also nochmal vom Weg ab. Der Wasserfall ist allerdings recht kläglich, aber der Weg dahin recht schön. Rückzu gehe ich über kleinere nicht gekennzeichnete Wege, leider manche auch zugewachsen. Ich komme aber schnell nach Horní Chřibská, wo mein Quartier ist. Halb 5 drehe ich noch eine Runde im Ort, dann klingle ich an der Pension.

Die Pension Sklarska Hospoda hat sicherlich schon bessere Zeiten gesehen, wie auch das Namensgebende Glaswerk nebenan. Und ist mit 63€ Übernachtungskosten absolut überteuert. Das war jetzt das letzte Mal, dass ich mit Booking.com gebucht habe. Das Zimmer ist besser als das Äußere der Pension, mit vier Betten eher eine Suite und damit erklärt sich auch der Preis.

Das Abendessen ist gut, es gibt Hähnchenbrust mit Blauschimmel überbacken. Dazu eine Nudelsuppe und 2 Bier. Zusammen 250 Kronen. Ich habe nebenbei den kommenden Tag im Wanderweg-Führer erkundet, mir die sehr gute App mapy.cz installiert und noch etwas zum Kammweg auf Tschechisch gelesen. Dort läuft der unter dem Namen MODRÁ HŘEBENOVKA sogar in manchen Karten.
Nachdem die einzigen Abend-Gäste, eine Familie, gegangen sind, gehe auch ich. Zurück bleiben die Wirtin, zwei ältere Stammgäste und der Hund.
Das erste Mal habe ich abends Freiraum und einen Anflug von langer Weile. Ich wasche ein paar Sachen und schalte dann den Fernseher ein. Jurassic Park auf tschechisch klappt nicht, also bleibe ich kurz bei einer deutschen Schnulze hängen und mache danach den Fernseher aus.
Die Nacht ist klar und ruhig, das Bett hart. Ich schlafe gut.

Erkenntnis des Tages: Auch Regen bringt mich nicht um auf der Wanderung.